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Vor 30 Jahren: Kavelstorfer heben DDR-Waffenlager aus | NDR.de – Geschichte

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2 Wochen vorauf
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FSN
Stand: 02.12.2019 19:30 Uhr
von Andrea Haase, NDR Nordmagazin
Einwohner von Kavelstorf trauen ihren Augen nicht, als sie am Sonnabend vor dem 1. Advent 1989 von außen unscheinbare, aber eingezäunte und stark bewachte Lagerhallen betreten. Dort finden sie tonnenweise Sturmgewehre, Maschinenpistolen, sogenannte Kalaschnikows, Pistolen und palettenweise Munition. Jahrelang hatten die Kavelstorfer ein geheimes Waffenlager im Dorf gehabt und neben Sprengstoffen gewohnt. Der Einsatz der Kavelstorfer rückte diese Geschäfte in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Sie sind es, die mit ihrer beherzten Aktion den Waffenhandel der DDR ans Tageslicht befördern.
Dass „da irgendetwas nicht stimmt“, denken sich die Anwohner des beschaulichen Dorfes Kavelstorf bei Rostock schon lange. Die Lagerhallen stehen auf streng abgeschirmtem Gelände, rund um die Uhr bewacht von jungen Männern. Deutrans LKWs biegen regelmäßig dorthin ab. Tischler Herbert Blaschek, der seine Werkstatt damals gegenüber des Geländes hat, stellt bereits zu DDR Zeiten unangenehme Fragen. Er bekommt die Antwort, dort würden Waschmaschinen lagern. Geglaubt hat er das nicht und so war auch er mit dabei, als Kavelstorfer Anwohner sich im Dezember 1989 Zugang zum Gelände verschafften. Was sie dann dort entdecken, übertrifft all ihre Erwartungen. Sie finden dort unter anderem tonnenweise scharfe Munition, Maschinenpistolen und Militärfahrzeuge – kistenweise, bis unter das Dach der zehn Meter hohen Lagerhalle. Von Kavelstorf aus exportierte der „Friedensstaat DDR“ Waffen in alle Regionen der Welt.

Das geheime Waffenlager der DDR in Kavelstorf
Nordmagazin – 01.12.2019 19:30 Uhr
Am 2. Dezember 1989 fanden die Kavelstorfer heraus, für welche Güter die IMES GmbH in ihrem Dorf ein bewachtes Lager betrieb: Die Firma verkaufte Waffen und Munition.
Mit dem Geigerzähler in die Halle
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Wolfram Vormelker vom Neuen Forum brachte einen Geigerzähler mit, als er das streng abgeriegelte Gelände in Kavelstorf erstürmte.
Zeitzeuge Wolfram Vormelker, der die Halle damals mit einem Geigerzähler betritt, beschreibt es bis heute als „unvorstellbar“. Auch er gehörte zu jenen, die damals vor 30 Jahren, das streng geheime Waffenlager der DDR enttarnten. Waffen aller Art, Tonnen von Munition, illegale Nummernschilder lagerten dort. „Nie“, so sagt Vormelker, „hätte er gedacht, dass die DDR, die sich immer als Friedensstaat feierte, in solche Machenschaften verstrickt war.“ Dass dort mit Waffenteilen gehandelt würde, hatte er gehört, den Geigerzähler nimmt er mit, weil nach seinen Angaben auch mit urangeschützter Munition gehandelt wurde.
Kriegswaffen und Munition im Wert von 27 Millionen „Westmark“
„Wir sind in Tränen ausgebrochen“, erinnert sich Zeitzeuge Herbert Blaschik. In den Kisten befinden sich Kriegswaffen und Munition im Wert von etwa 27 Millionen „Valutamark“, bestimmt für den Export in Kriegsgebiete in aller Welt. Nie, so sagt Vormelker, hätte er gedacht, dass die DDR, die sich immer als Friedensstaat feierte, in solche Machenschaften verstrickt war. Der sogenannte „Friedensstaat“ bricht damals für die Kavelstorfer beim Anblick der Lagerhalle in sich zusammen. „Wir waren nicht mehr da“, sagt Blaschik. Den Kindern habe man gelehrt, man sei der „Friedensstaat“. „Dieses hier war das Grausamste, dieses Lager hier“, so Blaschik heute. Axel Peters, ebenfalls Zeitzeuge, war entsetzt. „Hier haben wir das erste Mal gesehen, dass das alles Lüge war“, sagt er heute. „An diesem Tag für uns die Legitimation dieses Staates in sich zusammengebrochen“, so Peters. Bereits am folgenden Tag reist er nach Rostock, um auf einer Demo die Öffentlichkeit zu informieren.
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Ausländische Auto- und Zollkennzeichen verrieten es: Von Kavelstorf aus verschickte das DDR-Außenhandelsministerium Waffen in Krisengebiete.
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Ausländische Auto- und Zollkennzeichen verrieten es: Von Kavelstorf aus verschickte das DDR-Außenhandelsministerium Waffen in Krisengebiete.
Der „Friedensstaat“, der Kriegswaffen exportiert
Betrieben wird die Anlage von der Internationalen Messtechnik Import-Export GmbH (IMES). Das streng geheime Unternehmen verkauft Waffen und Munition in Krisengebiete und Entwicklungsländer weltweit. Hinter oder über allem steht der von der Stasi und vom Zentralkomitee der SED kontrollierte Bereich „Kommerzielle Koordinierung“ (KoKo): Das Imperium des Alexander Schalck-Golodkowski, der im Auftrag der Partei- und Staatsführung Devisen beschafft und dabei freie Hand hat. Im Geflecht der KoKo ist der Waffenhandel für D-Mark und Dollar lukrativ, aber gefährlich. 1987 legt das Ministerium für Staatssicherheit ein Konzept für ein Waffenlager in Kavelstorf vor. Getarnt wird das Unterfangen von Betriebsschutz in Uniform der Volkspolizei. Auch die Lage ist taktisch günstig gewählt: Das Gelände ist unmittelbar an der Autobahn gelegen, mit Gleisanschluss zum Überseehafen Rostock.
„Das war das Ende der DDR“
„Jedes DDR-Handelsschiff hat Waffen exportiert, das wussten wir damals nicht, das haben wir später recherchiert“, sagt Vormelker. Denn Kavelstorf war nicht das einzige Waffenlager der damaligen DDR, so Vormelker. Auch in Dummerstorf und anderen Orten der DDR soll es solche Lager gegeben haben, mit Waffen, die dann über den Überseehafen Rostock verschifft wurden.
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DDR-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski 1992 vor dem Untersuchungsausschuss.
Gleich nachdem die Kavelstorfer das geheime Lager der IMES entdeckt und öffentlich gemacht haben, setzt sich Schalck-Golodkowski am 3. Dezember 1989 gen Westen ab. Die Waffen werden am 13. Dezember von der Volksmarine abtransportiert. „Die Entsorgung war schwierig. Wir hätten es gerne zerstört, aber das war technisch nicht möglich“, so Vormelker. Später habe man erfahren, so Vormelker weiter, dass das Waffenmaterial über die Bundeswehr trotzdem nach Südafrika gelangte. „Das Geschäft war gelaufen, es wurde dafür gesorgt, dass es dort ankam.“ Als „Leichenhalle der DDR“ bezeichnet Peters die Halle heute noch – „im übertragenen Sinne“. Mit der Veröffentlichung damals sei die DDR gestorben. Am Folgetag treten das gesamte Zentralkomitee und das Politbüro zurück. Schalck-Golodkowski wird aus der Partei ausgeschlossen.
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01.12.2019 | 19:30 Uhr

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Unterhaltung
Auschwitz-Überlebende Bejarano: „Ich hatte großes Glück“ | NDR.de – Geschichte

Veröffentlicht
6 Stunden vorauf
Dezember 15, 2019Durch
FSN
Stand: 15.12.2019 21:51 Uhr
von Oliver Diedrich, NDR.de
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Esther Bejarano engagiert sich auch mit Mitte 90 noch gegen Antisemitismus und Rassismus.
„Frech wie Oskar“, nannte ihr Vater sie, als Esther Bejarano ein kleines Kind war. Am 15. Dezember wurde Bejarano 95 Jahre alt – und „brav“ sein kann und will sie immer noch nicht: Wenn in ihrem Wohnort Hamburg ein Prozess gegen einen früheren KZ-Wächter läuft, sitzt sie im Saal und nennt die Verhandlung „eine Farce“ und „furchtbar“. Wenn in ihrer Stadt Flüchtlinge drangsaliert werden, schimpft sie öffentlich, das sei „eine Schande für die Stadt“. Und wenn irgendwo Neonazis aufmarschieren, singt sie laut mit Rappern gegen Rassismus und Antisemitismus an.
Bejarano mischt sich ein, weil sie aus Erfahrung weiß, dass allzu viele Menschen lieber weg gucken. Als junge Frau hat sie Auschwitz überlebt. Danach ging sie nach Palästina. In den 1960er-Jahren kehrte Bejarano nach Deutschland zurück. Damals merkte sie rasch, dass auch der Rechtsextremismus überlebt hatte. Seit Jahrzehnten engagiert sich Bejarano dafür, Auschwitz nicht zu vergessen. Sie ist eine vielfach ausgezeichnete Friedensaktivistin und bekam das Große Bundesverdienstkreuz.

Esther Bejarano feiert 95. Geburtstag
Hamburg Journal – 15.12.2019 19:30 Uhr
Mit 18 Jahren wurde Esther Bejarano ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Sie überlebte und kämpft bis heute gegen das Vergessen. Nun wird Esther Bejarano 95 Jahre alt.
„Du wirst noch Schlimmeres erleben“
Bejarano wird als Esther Loewy im Saarland geboren. Ihre Mutter ist Jüdin, ihr Vater Halbjude und Kantor einer jüdischen Gemeinde. Esther ist die Jüngste von vier Geschwistern. In ihrem Buch „Erinnerungen“ beschreibt sie ihre unbeschwerte Kindheit in einem musikalischen Elternhaus. Doch als Esther zehn Jahre alt ist, ändert sich ihre Welt: „Der Antisemitismus machte sich breit.“ Sie und ihre Geschwister und alle jüdischen Kinder dürfen plötzlich nicht mehr auf „arische“ Schulen. Bejarano erzählt, wie damals die Repressionen zunehmen. Wie Freunde und Familienmitglieder ins Ausland fliehen vor der immer wilderen NS-„Rassenpolitik“.
Esther wird schließlich von ihren Eltern in ein Vorbereitungslager zur Auswanderung nach Palästina geschickt. Doch zur Emigration kommt es nicht mehr. 1941 stecken die Nazis sie und andere Auswanderungswillige in Zwangsarbeiterlager. Bei einer Konfrontation mit Polizisten bricht die 16-jährige Esther in Tränen aus. „Hab dich nicht so, du wirst noch Schlimmeres erleben“, sagt man ihr da.
Esther Bejaranos Leben in Bildern
„Ich habe viel Glück in meinem Leben gehabt, ein ganz großes Glück, ein unheimliches Glück“, sagt Esther Bejarano. Die Jüdin hat den Holocaust überlebt. Offenbar rettete ihr das Akkordeonspiel im Orchester in Auschwitz das Leben. Seit Jahrzehnten engagiert sich Bejarano gegen Rechtsextremismus.
Bejarano wird 1924 als Esther Loewy im Saarland geboren. Schon ihre Mutter Margarethe sei sehr musikalisch gewesen, erzählt sie. Ihr Vater Rudolf auch – er war Kantor einer jüdischen Gemeinde. (Alle historischen Privat-Fotos stammen aus dem Buch „Esther Bejarano: Erinnerungen“, Laika Verlag, Hamburg)
Bejarano berichtet von einer glücklichen Kindheit in den 1920er-Jahren. Sie ist die jüngste von vier Geschwistern.
Doch nachdem die Nazis in den 1930er-Jahren an die Macht kommen, gerät auch die heile Welt von Esther (vorne rechts) langsam aus den Fugen. Sie muss die christliche Schule, die sie bis dahin in Saarbrücken besucht, verlassen und auf eine jüdische Einrichtung wechseln.
Die Familie wechselt in den kommenden Jahren mehrfach den Wohnort, weil der Vater Schwierigkeiten hat, Arbeit zu finden. 1938 wohnen sie in Ulm. Esther lernt einen Jungen kennen, er ist kein Jude. „Seine Eltern durften von unserer Freundschaft nichts wissen, weil sie Nazis waren. Auch meine Eltern waren beunruhigt.“
1939: Von den vier Geschwistern wohnt nur noch Esther bei den Eltern. Ihr Bruder Gerhard ist in die USA geflohen, ihre Schwester Tosca nach Palästina. Ihre Schwester Ruth wartet in einem Auswanderungslager auf die Emigration nach Palästina. Es ist nicht genug Geld vorhanden, damit auch die restliche Familie Deutschland verlassen kann.
Auch Esther (vorne rechts) wird von ihren Eltern 1941 in ein von Zionisten betriebenes Auswanderungslager geschickt. In der Nähe von Berlin soll sie sich auf das Leben in Palästina vorbereiten. Doch es kommt anders. Die Nazis schließen alle Auswandererlager.
Stattdessen kommt Esther (Aufnahme von 1942) in ein Zwangsarbeiterlager. Sie muss für eine Blumenhandlung arbeiten. Wenigstens hat sie Glück mit ihrem Chef. Der Mann ist Kommunist und ein Nazi-Gegner. Doch 1943 wird Esther wie Hunderttausende andere Juden von Hitlers Schergen weiter verfrachtet – nach Auschwitz.
Esther überlebt das Lager vermutlich nur, weil sie im Mädchenorchester als Akkordeonistin unentbehrlich ist. Die SS zwingt die Musikerinnen, fröhliche Märsche zu spielen, während andere Häftlinge in die Gaskammern geführt werden.
Esther darf das Vernichtungslager Ende 1943 wieder verlassen, weil sie eine „arische“ Großmutter hat. Sie überlebt auch die anschließende Zeit als Zwangsarbeiterin im KZ Ravensbrück. Nach der Befreiung durch die Alliierten geht Esther nach Palästina. Im September 1945 wird sie dort von Familienangehörigen empfangen.
Die Nazis haben Esthers Eltern, ihre Schwester Ruth, deren Ehemann und viele andere Verwandte und Freunde ermordet. Mehr als fünf Millionen Juden fallen den NS-Verbrechen zum Opfer. Viele Holocaust-Überlebende haben anschließend keine Worte, um über ihre Erlebnisse zu reden. So auch Esther. Sie findet Trost in der Musik.
Die junge Frau macht eine Ausbildung als Koloratursopranistin und singt in der Oper und im Ron-Chor. Bei diesem Auftritt in Prag ist Esther in der ersten Reihe rechts neben dem Dirigenten zu sehen.
In Israel lernt Esther später Nissim Bejarano kennen. Die beiden heiraten und bekommen zwei Kinder.
Trotz großer Zweifel, ob sie dort sicher sein werden, zieht die Familie 1960 in die Bundesrepublik. Esther eröffnet in Hamburg eine Wäscherei.
Später macht sie ein Modegeschäft auf. In den 1970er-Jahren erlebt Esther, wie Neonazis in der Nähe ihres Ladens Propaganda machen. Die Jüdin ist entsetzt. Esther beschließt, sich gegen Rechtsextremismus zu engagieren und von ihren Erlebnissen zu berichten.
1982: Beim Konzert „Künstler für den Frieden“ steht Bejarano als Sängerin auf einer Bühne mit Harry Belafonte (v.l.), Hannes Wader und André Heller.
Bejarano wird zu vielen politischen Veranstaltungen eingeladen. Sie erzählt, diskutiert, singt. Sie reist auch in die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. Beim ersten Besuch dort soll sie im Inneren des Lagers übernachten. „Das konnte ich nicht ertragen, ich habe kein Auge geschlossen; das war eine Zumutung.“
Bejarano übernimmt den Vorsitz des deutschen Auschwitz-Komitees. Vor allem Jugendlichen erzählt sie immer wieder, was sie als verfolgte Jüdin erlebt hat.
Und Bejarano bleibt auch im hohen Alter musikalisch. Als Mitglied der Gruppe Microphone Mafia rappt sie bei zahlreichen Konzerten gegen Neonazis.
Als Friedensaktivistin erhält Bejarano viele Auszeichnungen. Über ihr Leben schreibt sie die Bücher: „Wir leben trotzdem“ und „Erinnerungen“. Auch mit über 90 Jahren engagiert sie sich noch: „Als politisch interessierter Mensch muss ich sehen, was geschieht, und dagegen kämpfen.“
Am 15. Dezember 2019 wird Bejarano 95 Jahre alt. Nach wie vor hält sie mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg. Im Hamburger Prozess gegen einen früheren KZ-Wächter sitzt sie im Publikum und konstatiert: „Wer dabei war, hat alles gewusst und damit ist er meiner Meinung nach auch schuldig.“
Im Viehwaggon nach Auschwitz
Am 20. April 1943 steigt Esther in Auschwitz aus einem Viehwaggon. In Ihrem Buch erinnert sie sich, wie bei der Ankunft alle Kranken, Mütter mit kleinen Kindern, Schwangere und Ältere ausgesondert werden. „Sie fuhren in die Gaskammern, was wir damals noch nicht wussten.“ Die anderen Gefangenen müssen sich vor den SS-Männern ausziehen und nackt die Haare scheren lassen. Dann wird ihnen eine Nummer auf den Arm tätowiert. „Ich bekam die 41948. Namen wurden abgeschafft, wir waren nur noch Nummern.“ Sie und ihre Mitgefangenen schlafen auf Brettern, ohne Stroh und ohne Decken. Sie erhalten wenig Essen, müssen Steine schleppen. „Sie waren so schwer, dass einige Frauen schlapp machten.“ SS-Wächter prügeln auf die Geschwächten ein. Esther ist zierlich und nur 1,48 Meter groß. „Ich glaube, wenn ich nicht das Glück gehabt hätte, aus dieser Kolonne raus zu kommen, wäre ich elendig zugrunde gegangen.“
Esther muss die Musik zum Sterben spielen
Doch Esther hat Glück. Sie wird gefragt, ob sie im Lager-Orchester mitwirken kann. Gesucht wird eine Akkordeonspielerin. Obwohl sie das Instrument gar nicht beherrscht, sagt sie zu. Es gelingt ihr, die richtigen Töne zu treffen. Das ist ihre Rettung. Zwar ist die Verpflegung für die Orchestermitglieder genauso karg wie für alle anderen, doch die schwere, tödliche Arbeit in den Außenlagern von Auschwitz bleibt ihnen erspart. „Täglich sahen wir abgemagerte Leichen auf den Straßen liegen. Wir sahen tote Frauen am Stacheldraht hängend. Frauen, die aus ihrer Verzweiflung an den geladenen Zaun liefen, um ihrem Leben ein Ende zu machen.“ Das Orchester spielt, wenn die anderen zur Arbeit abmarschieren. Bejarano erzählt auch, wie sie am Tor stehen und Musik machen mussten, wenn neue Opfer für die Gaskammern angeliefert wurden. „Als die Menschen die Musik hörten, dachten sie sicher, wo Musik spielt, kann es ja so schlimm nicht sein.“
Das Akkordeon ist die Rettung
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Das Akkordeon bleibt auch nach dem Krieg ihr Instrument. 1946 spielt Esther (l.) in einem Kindergarten in Palästina.
Esther erkrankt an Typhus. Mit hohem Fieber kommt sie ins Lazarett. Wie alle jüdischen Häftlinge bekommt sie keine Medikamente. Sie ist dem Tode nah. Doch offenbar rettet sie ihre Bedeutung für das Orchester: Ein wichtiger SS-Mann sorgt dafür, dass Esther doch Medizin erhält und gesund gepflegt wird. Ihr Fürsprecher ist Otto Moll, der in Auschwitz-Birkenau die Gaskammern und Krematorien leitet. Ausgerechnet der gefürchtete Sadist Moll fühlt sich für die Musik im Lager verantwortlich. Ein Mann, der Gefangene von seinen Hunden zerfleischen lässt und Kinder bei lebendigem Leib verbrennt.
Nach einigen Wochen spielt Esther wieder im Orchester mit, wenn andere Gefangene zum Sterben abgeführt werden. Als eine bessere Akkordeonistin auftaucht, übernimmt sie die Blockflöte. Doch dann bekommt sie Keuchhusten und kann vorerst nicht mehr spielen. Moll sorgt dafür, dass sie eine Zeit lang nicht bei den Proben mitmachen muss. „Was ihn dazu bewegt hat, weiß ich nicht.“
Genug „arisches Blut“, um leben zu dürfen?
„Ich habe viel Glück in meinem Leben gehabt, ein ganz großes Glück, ein unheimliches Glück“, sagt Bejarano Jahrzehnte später. Eines Morgens werden die Gefangenen, die „arisches Blut in ihren Adern“ haben, aufgefordert sich zu melden. Sie sollen verlegt werden. Esther hat eine christliche Großmutter. Es sei ihr schwer gefallen, ihre Mithäftlinge zu verlassen, doch: „Meine Freundinnen meinten, ich hätte geradezu die Pflicht zu versuchen herauszukommen, damit ich erzählen könnte, was für schreckliche Verbrechen an uns begangen wurden.“ Esther wird mit 70 weiteren Frauen ins KZ im brandenburgischen Ravensbrück gebracht. Dort muss sie für die Siemens-Werke arbeiten. Als sich im April 1945 die Sowjettruppen nähern, zwingen die Nazis die Insassen zum „Todesmarsch“ ins mecklenburgische Malchow. Esther überlebt. In den Wirren der letzten Kriegstage kann sie entkommen. Sie wird von US-Soldaten gerettet. Diese hätten ihr sogar ein Akkordeon geschenkt. In ihren Erinnerungen beschreibt Bejarano, wie die Sieger auf einem Marktplatz ein großes Porträt von Adolf Hitler anzünden. „Die Soldaten und die Mädchen aus dem KZ tanzten um das Bild herum, und ich spielte Akkordeon.“
Nach 15 Jahren Israel Rückkehr nach Deutschland
Erst nach dem Krieg erfährt Esther, dass ihre Eltern und ihre Schwester Ruth umgebracht wurden. Sie verbringt die nächsten 15 Jahre in Israel, macht eine Ausbildung als Sängerin. Sie heiratet Nissim Bejarano und bekommt zwei Kinder. Ihr Mann ist Kommunist – er kommt mit den politischen Verhältnissen immer weniger zurecht. Und Esther erträgt die Hitze in Israel nicht. 1960 beschließen sie, das Land zu verlassen. Trotz vieler Zweifel entscheiden sie sich, nach Deutschland zu gehen. Sie ziehen nach Hamburg, weil sie von Freunden hören, dass die Stadt schön sei und die Menschen freundlich. Sie eröffnen eine kleine Wäscherei. Nissim arbeitet zusätzlich in einem Hähnchengrill auf der Reeperbahn, später eröffnet er in Uetersen eine Diskothek. Doch sie müssen den Club dort wieder schließen, laut Bejarano werden sie von antisemitischen Einwohnern vertrieben. Zurück in Hamburg geht es aufwärts. Esther eröffnet eine Boutique, ihr Mann wird Feinmechaniker, ihr Sohn Versicherungskaufmann, ihre Tochter Sängerin.
Vergangenheit holt sie ein
In den 70er-Jahren holt ihre Vergangenheit sie wieder ein. Bejarano erzählt, wie in der Nähe ihres Ladens Mitglieder der rechtsextremen NPD einen Infostand aufbauen. Sie muss mit ansehen, wie die Polizei gewaltsam gegen Menschen vorgeht, die gegen die Neonazis protestieren. „Jetzt wusste ich, dass ich anfangen musste, antifaschistische Arbeit zu machen.“
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Engagement gegen Rechts
Seitdem ist Esther Bejarano auf Hunderten Veranstaltungen gegen Rechtsextremismus gewesen. Über ihr Leben schreibt sie gemeinsam mit anderen Autorinnen zwei Bücher. Sie erzählt in Schulen von ihrer Zeit in Auschwitz. Sie protestiert auf Demos gegen Neonazis. Sie übernimmt den Vorsitz des deutschen Auschwitz-Komitees. Sie ergreift das Wort für Flüchtlinge und singt mit der Band Microphone Mafia auf Konzerten gegen Rechts. Sie mischt sich ein, wo immer sie es für notwendig hält: Kurz vor ihrem 95. Geburtstag zum Beispiel schreibt sie einen offenen Brief an Finanzminister Olaf Scholz (SPD), nachdem der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) wegen des Verdachts des Linksextremismus die Gemeinnützigkeit aberkannt wurde. „Das Haus brennt – und Sie sperren die Feuerwehr aus!“, beklagt Bejarano. Sie ist Ehrenvorsitzende der VVN-BdA.
Obwohl sie hier lebe, sei Deutschland nie wieder ihre Heimat geworden, sagt Bejarano: „Weil noch zu viele Nazis hier herumlaufen, die mich an das Vergangene erinnern.“
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Dieses Thema im Programm:
Kulturjournal |
28.01.2019 | 22:45 Uhr

Unterhaltung
Fuldas Weihnachtsmarkt! | Tobis Städtetrip

Veröffentlicht
11 Stunden vorauf
Dezember 15, 2019Durch
hrfernsehen
Ist der Weihnachtsmarkt in Fulda wirklich einer der schönsten in Hessen? Was kann man dort Außergewöhnliches erleben? Das will Tobias Kämmerer in 45 Minuten in Echtzeit herausfinden – eine Entdeckungsreise ins weihnachtliche Fulda.
Mehr aktuelle Inhalte des Hessischen Rundfunks findet ihr in unserer Mediathek. Einfach hier klicken:
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Klassik Kompakt: Krzysztof Urbański | NDR.de – Orchester und Chor – NDR Sinfonieorchester

Veröffentlicht
12 Stunden vorauf
Dezember 15, 2019Durch
FSN
Krzysztof Urbański ist seit seinem umjubelten Debüt 2009 regelmäßiger Gast des NDR Elbphilharmonie Orchesters. In der Saison 2015/2016 hat er als Erster Gastdirigent des Orchesters die Nachfolge von Alan Gilbert angetreten.
Gemeinsam mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester lässt Krzysztof Urbański in den ersten beiden Stundenkonzerten der Saison dem zu Unrecht zu wenig gespielten Komponisten Mieczysław Weinberg späte Gerechtigkeit widerfahren. Ligetis Avantgarde-Klassiker „Atmosphères“ liefert den ätherischen Einstieg in das Konzert.
Späte Gerechtigkeit
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Mieczysław Weinberg (hier in einer Aufnahme aus den 1950er-Jahren) und Schostakowitsch schätzten sich gegenseitig sehr.
Es gibt viele Künstler, denen das Schicksal zu Lebzeiten übel mitspielte und denen erst nach ihrem Tod Gerechtigkeit widerfährt. Einer, der besondere Aufmerksamkeit verdient, ist der polnisch-russische Komponist Mieczysław Weinberg. Er hatte unter gleich zwei Diktaturen – der deutschen und der sowjetischen – zu leiden und stand ständig im Schatten seines Freundes Dmitrij Schostakowitsch.
Noch vor zehn Jahren kannte kaum jemand den Komponisten mit dem schwer aussprechlichen Vornamen. Mittlerweile jedoch hat sich etwas getan – und es ist Zeit, dass auch die Sinfonik des Schostakowitsch-Verehrers in die Elbphilharmonie Einzug hält. Krzysztof Urbański präsentiert die Dritte Sinfonie, in der Weinberg Volksmusik aus Polen und Weißrussland verarbeitete.


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